Achtzehnter Dezember
(Dienstag)
„Na, was hast du gestern Abend so mit deinem neuen Freund erlebt?“, gähnte Samira ganz verschlafen vor der ersten Unterrichtsstunde. „Oh, das kann ich jetzt nicht alles erklären, das würde viel zu lange dauern. Du musst wohl bis zur Pause warten.“ , meinte Janna und zwinkerte ihrer Freundin zu.
Für die beiden schien der Unterricht diesmal besonders lang, hauptsächlich aber für Samira. Sie ist eben ein Mensch, der nicht gut warten kann – meistens. Doch endlich erlöste das Klingeln die Mädchen und Janna begann mit einer ausführlichen Erzählung, die ich hier in leicht gekürzter Fassung aufschreibe:
„Um acht Uhr hat er mich abgeholt. Er meinte, ich solle mich warm anziehen, denn es wäre sehr kalt draußen und wer weiß schon, ob es nicht noch schneien würde. Als ich fertig war, kletterte ich durch das Fenster auf das Garagendach, wobei ich sehr aufpassen musste, weil es ganz schön glatt war. Ich versuchte möglichst leise zu sein, schließlich sollten meine Eltern nichts mitbekommen. Ein Glück, dass sie nicht bemerkten, dass ich gar nicht in meinem Bett lag und schlief! Sonst kommen sie doch immer und sehen nach mir. Stell dir mal vor, was für riesengroße Sorgen sie sich dann gemacht hätten. Ich bin mir nicht sicher, ob da vielleicht ein kleines bisschen Sternenzauberei im Spiel war!
Dann sagte der Stern zu mir, ich solle ihm folgen und er schwebte in die Luft. Ich war ganz schön verwirrt, wie sollte ich ihm denn nachkommen? Doch er beruhigte mich und versprach mir, das würde schon funktionieren, er wüsste nämlich ein paar kleine Sternenzauber-Kunststücke. Und es klappte wirklich! Ich konnte tatsächlich FLIEGEN! Dazu musste ich nur die Arme ausbreiten und mich einmal abstoßen. Wenn du nur wüsstest, was das für ein unbeschreibliches Gefühl ist, so frei durch die Lüfte zu gleiten!
Wir konnten über die ganze Stadt schauen, es war wunderbar. Ich habe bei dem Anblick von den vielen Lichtern und allem, was von oben zu sehen war selbst die Kälte vergessen. Es wäre sogar noch besser gewesen, wenn es wirklich Schnee gegeben hätte, aber das geschah in dieser Nacht nicht mehr.
Danach kamen wir zu einem Haus, in dem eine Familie mit zwei kleinen Kindern lebt. Wir sanken etwas tiefer, gerade so, dass wir durch das Fenster hineinschauen konnten. Mir war ein bisschen mulmig bei dem Gedanken, fremden Leuten in die Wohnung zu sehen, aber der Stern meinte, für einen kurzen Moment wäre das schon in Ordnung.
Die Eltern saßen gemütlich im Wohnzimmer, im Kamin brennte Feuer und überall leuchteten Kerzen. Auf dem Tisch stand ein Teller mit Plätzchen und Lebkuchen. Am liebsten hätte ich mich dazu gesetzt, so ruhig, freundlich und warm wirkte es. Nur wäre es besser gewesen, wenn dort meine Eltern gesessen hätten.
Dann war es, als ob der Stern meine Gedanken lesen konnte. Denn – gerade als ich das gedacht hatte – führte er mich wieder nach Hause und wir sahen durch unser Wohnzimmerfenster. Da saßen meine Eltern genauso gemütlich und ich glaube, sie hörten auch Musik. So ist das also, wenn sie Ruhe vor ihrer Tochter haben!
Manchmal denke ich jetzt, dass es doch ganz schön wäre, wenn die Abende immer so gemütlich wären. Aber wahrscheinlich ist es gut, das dies nicht der Fall ist. Schließlich ist nichts mehr so toll wie vorher, wenn es erst mal zur Gewohnheit geworden ist. Deshalb ist es doch gut, dass es die Weihnachtszeit gibt, in der man für vierundzwanzig Tage das Gefühl von Ruhe, Freude und Geborgenheit haben kann!“
„Na schön, das kann wohl sein, aber ich finde diese Zeit etwas langweilig. Mag sein, dass einige Leute das brauchen, aber ich möchte Spaß! Und ich möchte meine Geschenke!“, erwiderte Samira dann. Janna war ein wenig enttäuscht. „Kannst du denn an nichts Anderes denken? Ich glaube, ich muss dir jetzt immer von meinen Reisen erzählen, vielleicht kann ich dann deine Einstellung etwas ändern!“ ,rief sie und blickte ihrer Freundin entschlossen ins Gesicht.
2 Antworten auf „Eine Weihnachtsgeschichte (Teil 2 von 8)“
Wow – wunderschön. Kompliment André. Gefällt mir sehr gut. Hast Talent zum schreiben. Besonders die Beschreibung wie sie fliegt und was sie sieht, gefällt mir gut. Als Kind wollte ich auch immer fliegen und habe das in meinen Träumen immer gekonnt. Dazu musste ich nur meine Arme ausbreiten und mich total konzentrieren. Und dann ging es auf einmal. Und das Schöne ist: Das habe ich mir bis heute bewahrt. In manchen Träumen kann ich das immer noch 🙂 Freue mich auf den nächsten Teil…
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